Predigt zum Karfreitag 2021

Liebe Schwestern und Brüder in Christus Jesus, liebe Gemeinde!

Wissen Sie, was ein „Blame Game" ist? Es ist ein Wort dafür, eigene Schuld auf andere abzuwälzen. Sich dadurch zu entlasten, sich dadurch freier zu fühlen.

Im Alten Testament gibt es das Wort „Sündenbock". Auf den Sündenbock wird alle Schuld abgewälzt. Es ist menschlich, Schuld abwälzen zu wollen. Wer einen Sündenbock hat, meint sich freier zu fühlen. Entlasteter.

„Sündenböcke": Die Migranten, die Juden...

Im Laufe des Lebens sammelt sich viel an. Schlecht ist es, ja kaum aushaltbar, wenn es keine Entlastung gibt, wenn wir nicht wissen, wohin damit. Wir haben das Verlangen, das alles loszuwerden. Sonst drückt der Magen, der Rücken...

„Sündenbock" nimmt einen Text aus dem Alten Testament auf. Im 3. Buch Mose (16,20-22) lesen wir:

Der HERR sprach: Wenn Aaron (s.u.) die Entsühnung des Heiligtums vollbracht hat, der Stiftshütte (s.u.) und des Altars, so soll er den lebendigen Bock herzubringen.

Dann soll Aaron seine beiden Hände auf dessen Kopf legen und über ihm bekennen alle Missetat der Israeliten und alle ihre Übertretungen mit denen sie sich versündigt haben, und soll sie dem Bock auf den Kopf legen und ihn durch einen Mann, der bereit steht, in die Wüste bringen lassen, dass also der Bock alle ihre Missetat auf sich nehme und in die Wildnis trage; und man schicke ihn in die Wüste.

Den Sündenbock in die Wüste jagen. Ab und weg. Am großen Versöhnungstag wurde ein Sündenbock von Aaron bzw. dem Hohenpriester mit Sünden des Volkes symbolisch beladen und in die Wüste geschickt.

Jede Zeit hat ihre Sündenböcke, die sie in die Wüste schickt, um sich freier zu fühlen.

Möchten Sie auch jemanden am liebsten in die Wüste schicken?

Wen oder was möchte ich gerne loswerden? Welche Handlungen, Taten, Worte drücken mich so, dass die Last zu schwer für mich wird und ich sie gerne abwälzen möchte?

Ein Sündenbock kann Entlastung bringen. Kurzfristig, mittelfristig. Langfristig könnte es heißen: Der Sündenbock ist weg, aber mir geht's nicht besser. Ich bin immer noch belastet. Der Sündenbock kann das eigene Gewissen nicht ersetzen.

Mit diesen Gedanken kommen wir dem Karfreitag nahe.

Die Worte aus dem 3. Buch Mose weisen uns darauf hin, dass wir Menschen Entlastung brauchen, um unbeschwert leben zu können. Das Gott diese Entlastung will. Dass er ein Angebot macht. Dass er Entsühnung, Versöhnung will. Der Mensch mit Gott, der Mensch mit sich selbst. Sie weisen über sich selbst hinaus in das Neue Testament, in die Leidensgeschichte Jesu.

Am Karfreitag geht Christus auf der Via Dolorosa, der Straße der Schmerzen, mit dem Kreuz nach Golgatha.

Noch heute gibt es am Karfreitag in Jerusalem eine Prozession mit dem Kreuz Jesu unter Anteilnahme vieler Gläubiger.

Die Bibel beschreibt, was hier geschieht.

Der Herr warf alle unsere Sünden auf ihn. Er hat die Sünden der vielen getragen. Schreibt der Prophet Jesaja.

Lasst euch durch das Kreuz Jesu versöhnen mit Gott. Schreibt der Apostel Paulus im 2. Korintherbrief (5,20)

Das Blut Christi wird, der sich selbst als Opfer durch den ewigen Geist Gott dargebracht hat, unser Gewissen reinigen von den toten Werken zu dienen dem lebendigen Gott. So steht es im Hebräerbrief (vgl. 9,14).

Nach dem Willen Gottes sind wir geheiligt ein für alle Mal durch das Opfer des Leibes Christi (Hebräerbrief 10,10).

Wir brauchen keine „Sündenböcke" mehr, die wir loswerden wollen. Die Frage ist, ob es uns besser geht, wenn wir einen Sündenbock haben. Aaron hat die Sünden des Volkes Israel durch Handauflegung auf den Bock, auf den „Sündenbock", übertragen. Dieser wurde dann in die Wüste gejagt.

Meine eigene Glaubenserfahrung sagt mir:

Ich finde es entlastender, wenn Gott im Sohn ein für alle mal eingreift: Keiner wird mehr in die Wüste gejagt, die Suche nach Sündenböcken, um mich selbst zu entlasten oder von mir abzulenken, kann aufhören. Die Entlastung auf Kosten anderer ist nicht mehr nötig. Wir brauchen anderen keine Last aufzulegen und sie wegschicken. Es muss nicht mehr einmal im Jahr ein Sündenbock beladen werden, wie am großen Versöhnungstag, den das 3. Buch Mose beschreibt.

Wir haben das Angebot am Karfreitag, Last loszuwerden, wenn wir auf das Kreuz Jesu schauen und ihm versuchen zu vertrauen.

Also Schluss mit Blame Game und Sündenbock. Niemand muss mehr zur eigenen Entlastung in die Wüste geschickt werden.

Die eigene Last ist am Kreuz.

Schau auf das Kreuz.

Es ist Karfreitag, „Good Friday", wie man in Afrika sagt.

Amen

 

Pastor i.R. Wolfram Wiemer

 

Aaron, Bruder des Mose, der Israel aus Ägypten geführt hat. Aaron wurde nach Gottes Weisung zum ersten Priester der Israeliten geweiht. Die Tradition der Beladung eines Sündenbockes wurde von den Hohenpriestern des Jerusalemer Tempels jährlich fortgeführt am 10. Tag des siebten Monats nach jüdischer Zeitrechnung, am großen Versöhnungstag, dem Jom Kippur. Der Jom Kippur ist heute noch der höchste jüdische Feiertag. Der Feiertag ist mit strengem Fasten, Gebet, der Besinnung auf das Vergängliche des Lebens, der Buße und der Sündenvergebung verbunden. Dieses Jahr wird er am 16. September gefeiert.

Die Stiftshütte ist ein Zeltheiligtum, dass die Israeliten bei der Wüstenwanderung begleitete. Sie galt als der Ort, an dem Gott Wohnung nehmen konnte. In ihr war die Bundeslade mit den Geboten untergebracht.

 

Lesungen im Gottesdienst am Karfreitag

Alttestamentliche Lesung: Jesaja 52,13-53,12

Neues Testament:

Epistel: 2. Korintherbrief 5,19-21
Evangelium: Johannes 19,16-30

 

Lieder des Tages

EG 85 „O Haupt voll Blut und Wunden" (Paul Gerhardt 1656)

„In einer fernen Zeit" (Ottmar Schulz 2010)

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